Demokraten-Logo AG Demokratia - Auf den Spuren einer antiken Staatsform

Die Vorträge des Kolloquiums am 16./17. Juli 2004

Der Grundintention der 'Demokraten', mithilfe des Themas 'Demokratie' einen Dialog über die Grenzen von Fächern und Zeiten hinweg anzubahnen, wird im Programm durch zwei Schwerpunkte Rechnung getragen: Zum einen wurden Erlanger Dozenten aus drei Nachbarfakultäten, der Naturwissenschaftlichen, Juristischen und Sprach- und Literaturwissenschaftlichen gewonnen; zum anderen sind die Altertumswissenschaften durch vier auswärtige Referierende präsent. Im folgenden nun ein paar Informationen zu den einzelnen Vorträgen und Vortragenden:

PD Dr. Udo Gansloßer (Naturwissenschaftliche Fakultät/Zoologie):
Entscheidungsfindung in Tiergruppen.

Der erste Blick gilt nicht der Gattung Mensch, sondern "den anderen Tieren", wie Udo Gansloßer, Privatdozent im Fach Zoologie mit dem Schwerpunkt Verhaltensforschung und gleichermaßen in der Fortbildung von Lehrkräften wie der Beratung zoologischer Gärten engagiert (Bücher u.a. zu "Säugetierverhalten", 1998, "Gruppenmechanismen", 2001, Tiergartenbiologie und Zoopädagogik), zu formulieren pflegt. Mit einer derartigen Sichtweise steht er prinzipiell durchaus in der Nachfolge des Aristoteles, in dessen "Tierkunde" man etwa lesen kann: "Politisch organisiert (politiká) sind solche Herdentiere, bei denen alle Gruppenmitglieder an einem gemeinsamen Werk mitarbeiten, was ja nicht bei sämtlichen Herdentieren der Fall ist. Zu den politischen gehören z.B. Mensch, Biene, Wespe, Ameise, Kranich. Diese leben wiederum teils unter einem Anführer (hyph'hegemóna), teils ohne Herrscher und Herrschaft (ánarcha)" (488a, 9-13).

Die anarchistischen Ameisen werden im Vortrag zwar nicht vorkommen. Dafür aber erhalten einige der "ungeheuer vielen anderen" Tiergruppen, die Aristoteles für egalitär strukturiert erklärt (myría álla ánarcha), Namen und Gestalt. Und auch die Zeitgebundenheit manchen Urteils des altgriechischen Wissenschaftlers, so etwa die assoziative Verbindung von Politik und Stadtkultur, hat nicht allein historischen Wert. Sie regt vielmehr zum Nachdenken darüber an, ob nicht auch das lange unangefochtene und heute noch dominierende Bild eines Tierreichs mit stets hierarchisch gedachten Gemeinschaften, mit Leithirschen, Rudelführern und Alphatieren, weniger mit Tieren denn mit den Menschen zu tun hat. Lassen Sie sich also überraschen von Abstimmungen bei den Kaffernbüffeln und dem Eigentumsbegriff der Zebramanguste, einer gesellig lebenden Schleichkatzenart, deren Neugierde wir zugleich im Geiste der aristotelischen Mensch-Tier-Analogie zur Nachahmung empfehlen.

Prof. Dr. Henri Schoenmakers (Phil. Fak. II/Theater- und Medienwissenschaft)
Wir sind keine alten Griechen. Das antike Drama in der letzten Hälfte des 20. Jh. auf Bühne und Leinwand.

"Wir sind keine alten Griechen". Ein solcher Satz entbehrt in den Ohren von Historiker/Historikerin nicht der Provokation, ist aber gerade für sie eine wichtige Ermahnung. Vor allem aber wirft er eine Frage auf, die keineswegs nur für das antike Drama, sondern für die Literatur aller früheren Epochen relevant ist, an den Tragödien und Komödien des 5. und 4.Jh.v. jedoch besonders scharf hervortritt. Ihre Autoren strebten nämlich eindeutig einen Beitrag zu aktuellen Kontroversen an, so daß es nicht ihrer Intention entspräche, wenn die Zuschauerschaft ihre Werke nur noch als Zeugnisse der Vergangenheit, als "Klassiker" erleben würde. Wie aber können moderne Inszenierungen mit dem Problem umgehen, daß der Kontext von Politik, Gesellschaft, Normen, auf den die Texte einst rekurrierten und reagierten, im 20./21.Jh. nicht mehr derselbe ist wie zur Zeit ihrer Abfassung, - daß wir unabänderlich keine alten Griechen sind?

Auf Antworten darf man umso mehr gespannt sein, als das Thema einen Forschungsschwerpunkt von Henri Schoenmakers darstellt, der sich dazu mehrfach schon an einem höchst speziellen Ort äußern konnte: Außer in Erlangen, wo er einen Lehrstuhl für Theater- und Medienwissenschaft innehat, und Utrecht ist er nämlich regelmäßig bei Tagungen in Epidauros aktiv, dessen Theater gewiß zu den schönsten Hinterlassenschaften der griechischen Antike gehört.

Prof. Dr. Mathias Rohe (Juristische Fakultät/Bürgerliches Recht)
Zum Verhältnis von Demokratie und Islam

Lange bevor der Gegenstand eine traurige Aktualität gewann, hat Mathias Rohe sich bereits intensiv mit den Verhältnis von Demokratie und Islam befaßt. Als Publikation aus seiner Feder ist dazu 2001 der Band "Der Islam. Alltagskonflikte und Lösungen. Rechtliche Perspektiven" erschienen. Sein Lehrstuhl an der Juristischen Fakultät der FAU, deren Dekan er gegenwärtig ist, trägt denn auch den vollen Titel einer Professur für "Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung" Außerdem zu erwähnen ist ein Richteramt am Oberlandesgericht. Die Haltung des Islam zur Demokratie wird im Vortrag ebenso zur Sprache kommen wie die Haltung der Demokratie (bzw. sich als demokratisch verstehender Staaten) zum Islam. Für Diskussionsstoff und Informationsbedarf wird täglich neu gesorgt ...

Prof. Dr. Christian Meier (Universität München/Alte Geschichte)
Wo beginnt die europäische Geschichte? Überlegungen zu den Griechen.

Es dürfte wohl niemanden geben, der stärker prädestiniert wäre, den Brückenschlag vom ersten interdisziplinären zum zweiten altertumswissenschaftlichen Teil unserer Veranstaltung vorzunehmen denn Christian Meier. Er zählt nämlich nicht nur zu den bedeutendsten Althistorikern Deutschlands, sondern hat sich stets über die Grenzen seines Faches hinaus betätigt und dort – etwa als Vorsitzender des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands und jüngst als Präsident der Gesellschaft für deutsche Sprache und Literatur – nicht weniger impulsgebend gewirkt wie für die Erforschung Griechenlands und Roms. Die "Krise ohne Alternative", mit der er das Schicksal der späten römischen Republik charakterisierte, ist ebenso fester Bestandteil aller weiteren Überlegungen zu dieser Epoche geworden wie die "relativ breite Lagerung der Macht", durch die er Griechenland schon in der Frühzeit von den benachbarten Hochkulturen Ägyptens und Mesopotamiens unterschieden und die spätere Entwicklung hin zur Demokratie ermöglicht sah. Daß in seinem Werk, zu dem bezeichnenderweise auch ein Band zur parlamentarischen Demokratie gehört, der antiken "Volksmacht" ein zentraler Platz zukommt, wird man getrost behaupten können, sowohl aufgrund von Titeln wie "Entstehung des Begriffs 'Demokratie'. Vier Prolegomena zu einer historischen Theorie", 1981, "Die Entstehung des Politischen bei den Griechen", 1982, "Die politische Kunst der griechischen Tragödie", 1988, "Kannten die Griechen die Demokratie?", 1990, "Athen. Ein Neubeginn der Weltgeschichte", 1999, als auch wegen des bemerkenswerten Mottos des letztgenannten Buches: "pour comprendre il faut aimer" (um zu verstehen, muß man lieben). Wie der Vortragsredner, so stellt das Vortragsthema die ideale Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart her, wirft es doch eine gleichermaßen (alt-)historische wie aktuelle Frage auf: Wo beginnt die europäische Geschichte?

Prof. Dr. Uta Kron (Universität Jena/Klassische Archäologie)
Gesichter der Demokratie. Historisch-Archäologisches zu den attischen Phylenheroen und den Personifikationen von demos und demokratia

Wie sieht die Demokratie aus? Diese Frage muß durchaus nicht nur abstrakt verstanden werden. So wird ein Relief, das die inschriftliche Veröffentlichung eines wichtigen Beschlusses aus dem Jahr 336 v. schmückt und einen sitzenden bärtigen Mann sowie eine stehende, ihn bekränzende Frau zeigt, in der Regel als Darstellung des demos, der demokratischen Bürgerschaft, und der demokratia, der demokratischen Verfassung, interpretiert, die auch im Text angesprochen werden: Hier nämlich wird über die Vorsorge gegen einen möglichen Putsch und denjenigen, der "das Volk der Athener oder die Demokratie in Athen stürzt", nachgedacht. Um mit solchen und ähnlichen Kunstwerken vertraut zu machen, freuen wir uns, Uta Kron gewonnen zu haben- Denn sie hat zu genau dieser Thematik geforscht (Die zehn attischen Phylenheroen, 1976; Demos, Pnyx und Nymphenhügel. Zu Demos-Darstellungen und zum ältesten Kultort des Demos in Athen, Athen. Mitt. 94, 1979, 49-79). Nach einem Studium in Würzburg und Berlin und Stationen am Deutschen Archäologischen Institut Athen, bei einer Grabung auf Samos, in Zürich, der FU Berlin und der LMU München lehrt sie heute als Professorin der Klassischen Archäologie in Jena.

Dr. Claudia Tiersch (Universität Dresden/Alte Geschichte)
Aristokraten in der Demokratie. Statusvorteile durch genealogische Legitimation?

Daß das demokratische Athen noch genug Stoff für weitere Forschung bietet, zeigt Claudia Tiersch , deren Habilitationsprojekt "Zur Rolle und Bedeutung der politischen Elite in der athenischen Demokratie in der ersten Hälfte des 4. Jh." von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit einem Stipendium gefördert wird. Ihm zuliebe hat Frau Tiersch die Spätantike, aus der sie die Gegenstände von Magisterarbeit und Dissertation – die Asketinnen des 4.-6.Jh. und Bischof Johannes Chrysostomus – bezog, verlassen und das späte 4. und 5.Jh. n. mit dem späten 5. und frühen 4.Jh. v. vertauscht. Aus ihren laufenden Untersuchungen heraus wird sie die Umbruchszeit des Peloponnesischen Krieges (431–404), des oligarchischen Putsches (404-400) und der Restauration der Demokratie vorstellen und sich dabei der Frage widmen, ob und wie lange Leute "mit guten Vätern", die in der vordemokratischen Zeit politisch wie gesellschaftlich bestimmend waren, in der Demokratie noch einen "Statusvorteil" behaupten konnten. Ein besonderes Augenmerk wird dabei Alkibiades sen. und iun. gelten. Mit "Dauer durch Wandel als kulturwissenschaftlichem Thema" hat sich Frau Tiersch am Beispiel der späten römischen Republik befaßt.

Prof. Dr. Karl-Wilhelm Welwei (Universität Bochum/Alte Geschichte)
Sparta: Zum Konstrukt eines oligarchischen Gegenbildes zur athenischen Demokratie.

Wer sich je mit der archaischen und klassischen Zeit Griechenlands beschäftigt hat, ist unweigerlich schon auf Titel von Karl-Wilhelm Welwei gestoßen und hat es z.B. sehr begrüßt, daß sein Standardwerk "Die griechische Polis" 1998 eine zweite Auflage erfuhr. Athen allein sind sogar zwei Bücher gewidmet: "Athen. Vorn neolithischen Siedlungsplatz zur archaischen Großpolis", 1992, und "Das klassische Athen. Demokratie und Machtpolitik im 5. und 4.Jh.", 1999. Als Professor der Ruhr-Universität Bochum mittlerweile im Ruhestand, aber in Lehre und Forschung weiterhin aktiv, reist Herr Welwei von seinem Heimatort Witten aus zur Veranstaltung der 'Demokraten' an. Im Gepäck hat er Resultate seiner neuesten Arbeit. Sie gilt Athens Kontrahentin Sparta, das in das Verfassungsschema von "Volksmacht" (demokratia) und "Herrschaft der wenigen" (oligarchia) zwar nur mit Mühe einzuordnen war, sich aber bei den Antidemokraten des 5./4.Jh. in Ideologie wie Praxis großer Beliebtheit erfreute. Nicht alle Äußerungen dieser Sympathie sind dabei so harmlos und belustigend wie die Mode, Abneigung gegen die Demokratie mittels spartanischer Mäntel und Schuhe zum Ausdruck zu bringen.