Demokraten-Logo AG Demokratia - Auf den Spuren einer antiken Staatsform

Der "Alte Oligarch"

Pseudo-Xenophon, Athenaíon Políteia (ed. E. Kalinka, Leipzig 1913)

(I, 1) Was die Staatsform der Athener anlangt, kann ich es freilich nicht billigen, daß sie gerade für diese Art der Staatsform sich entschieden haben; denn hiermit haben sie sich zugleich dafür entschieden, daß es die Gemeinen besser haben als die Edlen; aus diesem Grunde kann ich das nicht billigen. Daß sie aber, nachdem sie das nun einmal dergestalt beschlossen haben, zweckmäßig ihre Staatsform sich zu wahren und alles andere sich einzurichten wissen, worin sie nach Ansicht der anderen Griechen fehlgreifen, das will ich jetzt beweisen.

(2) Zunächst muß ich es aussprechen, daß mit Recht daselbst die Armen und das Volk berechtigt sind, den Vorzug vor den Vornehmen und den Reichen zu haben, und zwar deshalb, weil nur das Volk es ist, das die Schiffe treibt und dadurch der Stadt ihre Machtstellung verschafft, und die Steuerleute, die Rudervögte, die Unterabteilungs-Kommandanten, die Vorderdeckwarte und die Schiffbauer, alle diese nur es sind, die der Stadt ihre Machtstellung verschaffen, wenigstens viel eher als das schwere Fußvolk und die Vornehmen und überhaupt die Edlen. Unter diesen Umständen erscheint es nur gerecht, daß allen bei der jetzt üblichen Losung sowohl wie der Wahl die Ämter offen stehen und daß es jedem von den Bürgern, wer da will, freisteht, öffentlich zu reden.

(3) Alle Ämter ferner, die der Gesamtheit des Volkes Segen bringen, wenn sie in guten Händen sind, und Gefahr, wenn in schlechten, die verlangt sich das Volk nicht im mindesten offenzuhalten (weder die Stellen der Marschälle noch die der Reiterobersten glauben sie sich durch den Grundsatz der Losung offenhalten zu sollen); denn sehr wohl versteht es das Volk, daß es größeren Nutzen davon hat, daß es nicht selber diese Ämter verwaltet, sondern die Vermöglichsten sie verwalten läßt. Alle Ämter aber, die dazu da sind, Sold zu tragen und Nutzen ins Haus zu bringen, um die bewirbt sich das Volk.

(4) Ferner wundern sich manche darüber, daß sie allenthalben den Gemeinen und Armen, kurzum den Leuten der Volkspartei den Vorzug geben vor den Edlen; doch gerade in dem Punkte wird sich sofort zeigen, daß sie die Volksherrschaft wahren. Wenn nämlich die Armen und die Leute aus dem Volke und überhaupt die Minderwertigen gut gestellt sind und Menschen dieses Schlages zur Menge anwachsen, so wird damit die Volksherrschaft gefordert; wenn aber die Reichen und die Edlen gut gestellt sind, so stärkt die Volkspartei damit selber das ihr gegnerische Element.

(5) Es gilt aber auch wirklich für jedes Land, daß das bessere Element Gegner der Volksherrschaft ist; denn bei den Besseren ist Zuchtlosigkeit und Ungerechtigkeit am geringsten, gewissenhafter Eifer für das Gute und Edle am größten, beim Volke aber Mangel an Bildung und Selbstzucht am größten und Gemeinheit; denn sowohl die Armut verleitet sie viel eher zur Schlechtigkeit als auch der Mangel an Erziehung und Bildung - seinerseits bedingt dadurch, daß es einigen der Leutchen an Mitteln gebricht.

(6) Daraus aber könnte einer folgern, daß es geboten wäre, sie nicht alle ohne Unterschied reden und am Rate teilnehmen zu lassen, sondern nur die Rechten und überhaupt ausgezeichnete Männer. Sie aber sind auch in diesem Punkte ausgezeichnet beraten, indem sie auch den gemeinen Mann reden lassen; denn wenn nur die Edlen redeten und sich berieten, so wäre es ganz unleugbar für ihresgleichen selbst vorteilhaft, für die Volkspartei jedoch nicht gerade vorteilhaft; so aber, da jeder, wer da will, zu Worte kommt, wenn er sich nur erhebt, macht irgendein gemeiner Mensch ausfindig, was für ihn sowohl wie für seinesgleichen vorteilhaft ist.

(7) Da könnte einer einwenden: was kann denn ein solcher Mensch für sich und das Volk Vorteilhaftes ersinnen? Sie aber verstehen sehr wohl, daß der Mangel an Bildung und die Gemeinheit dieses Mannes gepaart mit Zuneigung eher lohnt als die Gediegenheit und Einsicht des Edlen gepaart mit Abneigung.

(8) Mag nun ein Staatswesen zwar nicht infolge solcher Einrichtungen des öffentlichen Lebens den Anspruch erheben können, das politische Ideal zu sein, so mag doch die Volksherrschaft am ehesten auf diese Weise erhalten werden. Das Volk hat es ja darauf abgesehen, nicht etwa in einem wohlgeordneten Staatswesen selbst geknechtet zu sein, sondern frei zu sein und zu herrschen, die Mißordnung aber kümmert es wenig, denn was du als das gerade Gegenteil eines wohlgeordneten Zustandes ansiehst, das Volk schöpft daraus seine Kraft und seine Freiheit.

(9) Wenn du aber nach gesetzlicher Wohlordnung ausschaust, so wirst du fürs erste zu sehen bekommen, daß die rechten Männer ihnen die Gesetze geben, die Gewalt ferner werden die Edlen über die Gemeinen haben und beraten werden die Edlen über die politischen Fragen und werden sinnlose Leute nicht zum Rate, zum Worte oder auch nur zu einer Versammlung zulassen; und die Folgewirkung dieser Vorteile wäre, daß das Volk binnen kurzem in einen Zustand der Knechtschaft verfiele.

(10) Bei den eigentlichen Knechten hingegen und den Schutzbürgern herrscht in Athen größte Zuchtlosigkeit, und man darf daselbst den Knecht weder hauen, noch wird er dir bescheiden ausweichen. Weswegen das aber landesüblich ist, will ich sofort erklären. Wenn es Brauch wäre, daß der Knecht von jedem beliebigen freien Mann geschlagen würde oder gar der Schutzbürger und der Freigelassene, so hätte der schon oft auf den ersten Eindruck hin, der Athener vor ihm sei ein Knecht, dreingehauen; denn wie an Kleidung das Volk daselbst nichts Besseres ist als die Knechte und die Schutzbürger, so sind sie auch in ihrer ganzen Erscheinung um nichts besser.

(11) Wenn aber einen auch das wundert, daß sie daselbst die Knechte werden, ja einige sogar auf großem Fuß leben lassen, auch das tun sie, wie ich vielleicht zeigen kann, mit Absicht. Denn wo es eine Seemacht gibt, ist es eine Naturnotwendigkeit für die Sklaven, um Gold zu fronen, damit ich als Herr von ihrer Tätigkeit wenigstens die Abgaben bekomme, und sie freizugeben. Wo es aber einmal reiche Knechte gibt, da lohnt es nicht mehr, daß mein Knecht sich vor dir fürchte wie in Lakedaimon, wo mein Knecht tatsächlich sich vor dir fürchtete; denn wenn sich einmal dein Knecht vor mir fürchtet, wird er immer Gefahr laufen, sogar sein Geld herzugeben, um dann nicht mehr an Leib und Leben Gefahr zu laufen.

(12) Deshalb also haben wir sogar für die Knechte freie Meinungsäußerung eingeführt in demselben Maße wie für die Freien; und auch für die Schutzbürger in demselben wie für die Staatsbürger, weil der Staat Schutzbürger braucht, sowohl um der Menge der Gewerbe als auch um des Seewesens willen; deshalb also haben wir naturgemäß auch für die Schutzbürger dasselbe Recht der freien Meinungsäußerung eingeführt.

(13) Jedoch den daselbst tätigen Verein von Turnern und der Musik Beflissenen hat das Volk aufgelöst in der Überzeugung, daß das ein Unfug sei, weil ihm zum Bewußtsein gekommen war, daß es nicht imstande sei, diese Künste geflissentlich und angelegentlich zu betreiben. Bei den Choregien jedoch und Gymnasiarchien und Trierarchien sind es, wie ihnen bewußt ist, die Reichen, die als Choregen wirken, das Volk, das vom Choregen angestellt wird, und die Reichen, die als Gymnasiarchen und Trierarchen wirken, das Volk, das vom Trierarchen und Gymnasiarchen angestellt wird. Jedenfalls hält es das Volk für angemessen, Geld zu verdienen mit seinem Singen, Rennen, Tanzen und Fahren in den Schiffen, damit es selber den Gewinn habe und die Reichen zugleich verarmen; und ebenso kümmern sie sich in den Gerichtshöfen nicht so sehr um das Recht als vielmehr um ihren eigenen Vorteil.

(14) Nun zu den Bündnern. Weil die Menge dort die Edlen augenscheinlich falsch be"-schul"-digt und überhaupt mit ihrem Haß verfolgt, so verhängen sie in der Erkenntnis, daß einerseits mit Naturnotwendigkeit der Herrschende vom Beherrschten gehaßt wird, andererseits dem Falle, daß die Reichen und überhaupt die Edlen in den Bundesstädten die Gewalt behalten, die Herrschaft nur ganz kurze Zeit noch beim Volke in Athen bleiben werde, aus diesen Gründen also verhängen sie über die Edlen Verlust der Ehrenrechte und Einziehung des Vermögens und verjagen sie aus ihrem Reiche und lassen sie hinrichten, die Gemeinen aber fördern sie.

(15) Die Edlen der Athener wieder schützen die Edlen in den Bundesstädten in der Erkenntnis, daß es für sie vorteilhaft ist, die Besseren immerdar zu schützen in den Städten. Dagegen könnte jemand einwenden, daß darin gerade die Stärke der Athener liege, wenn die Bundesgenossen imstande seien, Geld beizusteuern. Der Volkspartei aber scheint es vorteilhafter zu sein, daß jeder einzelne der Athener das Geld der Bundesgenossen habe, jene aber nur so viel haben, um das Leben zu fristen, und unablässig arbeiten, ohne imstande zu sein, auf einen Anschlag zu Sinnen.

(16) Es scheint aber das Volk von Athen auch darin übel beraten zu sein, daß sie die Bündner zwingen, zu Gerichtsverhandlungen nach Athen zu fahren. Die aber stellen demgegenüber in Rechnung, wie viele Vorteile darin für das Volk von Athen gelegen sind: erstens aus den Prozeßgeldern das ganze Jahr hindurch den Richtersold zu beziehen; ferner vermögen sie so, ruhig daheim bleibend, ohne Ausfahrt von Schiffen die bundesgenossischen Städte zu leiten, indem sie in den Gerichtshöfen die Männer aus dem Volke in Schutz nehmen, die Gegner unschädlich machen; wenn aber die einzelnen ihre Gerichtsverhandlungen daheim hätten, so würden sie infolge ihrer Erbitterung über die Athener diejenigen aus ihrer Mitte unschädlich machen, die dem Volke von Athen am ehesten noch wohlgesinnt wären.

(17) Überdies gewinnt das Volk von Athen, wenn die Gerichtsverhandlungen für die Bündner in Athen abgehalten werden, folgende Vorteile: erstens ist für die Stadt die im Peiraieus fällige Abgabe des Hundertsten ausgiebiger; ferner, wenn einer ein Zinshaus hat, steht er sich so besser, ferner, wenn einer ein Gespann hat oder einen Lohnknecht; ferner stehen sich die Ausrufer besser infolge des Aufenthalts der Bündner. Überdies würden die Bündner, wenn sie nicht zu Gerichtsverhandlungen

(18) herzukommen hätten, von den Athenern nur die in Ehren halten, die zu Schiffe ausfahren, die Marschälle, die Trierarchen und Gesandten; jetzt aber ist es das Gesamtvolk von Athen, dem jeder einzelne von den Bündnern gezwungen ist schön zu tun in der Erkenntnis, daß er nach Athen kommen muß, um Buße zu geben und zu nehmen, und zwar, wie es eben bekanntlich Gesetz ist in Athen, gerade vor demselben Volk, nicht vor irgend andern Leuten; und er ist gezwungen, den Gerichtshöfen sich auf die Knie zu werfen und, sowie einer eintritt, ihn bei der Hand zu fassen. Deshalb also stehen die Bündner eher als Knechte des Volkes von Athen da.

(19) Überdies lernen sie infolge des Besitzes im Ausland und infolge der Amtsreisen ins Ausland das Ruder führen, ohne das ihnen das recht zum Bewußtsein gekommen wäre, sie selbst und ihre Begleiter; denn es ist eine Naturnotwendigkeit, daß ein Mensch, der oft zu Schiffe fahrt, ein Ruder zur Hand nimmt, er selbst und sein Diener, und Ausdrücke lernt, die im Schiffswesen vorkommen.

(20) Auch tüchtige Steuerleute gehen daraus hervor infolge von Erfahrung in den Fahrten und infolge von Übung. Geübt aber haben sie sich teils in der Steuerung eines Fahrzeuges, teils eines Lastschiffes, teils sind sie von da aus auf Trieren zu stehen gekommen; die Menge aber ist zu rudern imstande, sowie sie nur auf Schiffe hinaufsteigen, da sie ja in ihrem ganzen Leben vorher schon Übung gehabt haben.

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(II, 1) Mit dem schweren Fußvolk aber, das in Athen am schwächsten bestellt zu sein scheint, steht es bei ihnen wirklich so und sie nehmen auch an, daß sie nicht nur schwächer sind als ihre Hauptfeinde, sondern auch geringer an Zahl; über die Bundesgenossen aber, die ihre Bundessteuer beisteuern, haben sie auch zu Lande die Übermacht und sie huldigen der Ansicht ihr Fußvolk genüge, wenn sie stärker sind als die Bundesgenossen.

(2) Uberdies tritt für sie nach der Sachlage noch ein Umstand ein, der sich ungefähr so kennzeichnen läßt: den Untertanen einer Landmacht ist es möglich, aus kleinen Städten sich zusammenzusiedeln und dann vereint zu kämpfen; den Untertanen einer Seemacht aber ist es, soweit sie Inselbewohner sind, nicht möglich, ihre Städte zusammenzukoppeln auf einem und demselben Punkt, denn die See liegt mitten zwischen ihnen und die Machthaber sind eben im Besitze der Seemacht; wenn es ihnen aber möglich würde, sogar ganz unvermerkt auf demselben Punkt zusammenzukommen (ich meine nämlich: den Inselbewohnern auf einer einzigen Insel), so werden sie Hungers sterben;

(3) soweit aber die den Athenern untertänigen Städte auf dem Festland liegen, sind sie ihnen untertänig, die großen aus Furcht, die kleinen in besonders hohem Grade aus Not; denn es gibt schlechterdings keine Stadt, die nicht irgendeiner Einfuhr oder Ausfuhr bedürfte, und diese Handelsrechte wird sie nicht genießen, wenn sie nicht den Seebeherrschern unterwürfig bleibt.

(4) Ferner ist den Seebeherrschern zu tun möglich, was ja denen zu Lande nur ausnahmsweise, nämlich das Land der Stärkeren zu verheeren; denn zu Schiffe steht es frei heranzufahren, wo kein Feind ist oder wo bloß wenige, wenn sie aber herzukommen, das Schiff zu besteigen und wegzufahren; und wenn er das tut, gerät er weniger in Verlegenheit, als wer mit Fußvolk es gleichtun wollte.

(5) Ferner ist es den Herrschern zur See möglich, von ihrer Heimat zu Schiffe eine beliebig lange Fahrtstrecke wegzufahren, denen zu Lande aber ist es nicht möglich, von ihrer Heimat eine Wegstrecke von vielen Tagereisen wegzuziehen; denn langsam sind die Märsche, und es ist nicht möglich, als Fußgänger Nahrung für lange Zeit mitzuführen; und der Fußgänger muß durch Freundesland gehen oder siegreich sich durchkämpfen, dem Schiffahrer aber steht es frei, wo er der Stärkere ist, auszusteigen, wo er es aber nicht ist, an dem Punkt des Festlandes nicht auszusteigen, sondern vorbeizufahren, bis er an befreundetes Gebiet herankommt oder zu Schwächeren als er ist.

(6) Ferner Krankheiten der Feldfrüchte, wie sie Zeus schickt, ertragen die Machthaber zu Lande nur schwer, die zur See leicht; denn es ist nicht alles Land zugleich von Krankheit heimgesucht, weshalb aus dem reich gesegneten den Seebeherrschern zukommt, wessen das von Krankheit heimgesuchte bedarf.

(7) Wenn ich aber auch geringerer Vorteile gedenken soll, so haben sie dank der Seeherrschaft erstens Mittel zu Schlemmereien ausfindig gemacht, indem sie hier diesen, dort jenen sich zugesellten; und was es nur an Leckerei in Sizilien oder Italien oder auf Kypern oder in Ägypten oder in Lydien oder im Pontos oder in der Peloponnesos oder sonstwo gibt, all dieses ist an einem Punkte zusammengeströmt dank der Seeherrschaft.

(8) Ferner haben sie beim Anhören jeder Sprache sich aus der das, aus der das ausgesucht; und so bedienen sich, während die Griechen ihre eigene Sprache und Lebensweise und Tracht vorziehen, die Athener einer aus allen Griechen und Nichtgriechen vermischten.

(9) Was aber Opfer und Heiligtümer und Feste und Götter bezirke betrifft, so hat das Volk in der Erkenntnis, daß es nicht jedem einzelnen von den Armen möglich ist, aus eigenem zu opfern und zu schlemmen und Heiligtümer zu errichten und eine schöne, große Stadt zu bewohnen, ausfindig gemacht, durch welches Mittel diese Ergebnisse zustande kommen würden. Sie opfern demnach auf Gemeindekosten - nämlich der Staat - viele Opfertiere, das Volk aber ist es, das dabei schlemmt und die Opfertiere erlost.

(10) Und Turnhallen und Bäder und Auskleideräume haben die Reichen, wenigstens einige von ihnen, im Privatbesitz, das Volk aber baut sich selber zum Privatvergnügen viele Ringschulen, Auskleideräume, Badeanstalten; und mehr Genuß hat davon die Masse als die wohlbestallte Minderheit.

(11) Den Uberfluß aber der Griechen und der Nichtgriechen sind sie allein imstande an sich zu ziehen. Denn wenn irgendeine Stadt Überfluß hat an Schiffbauholz, wo wird sie es absetzen, wenn sie nicht die Herren des Meeres dafür gewinnt? Ja noch mehr: wenn eine Stadt an Eisen oder Kupfer oder Flachs Überfluß hat, wo wird sie das absetzen, wenn sie nicht den Herrn des Meeres dafür gewinnt? Gerade aus diesen Stoffen jedoch bekomme ich auch schon meine Schiffe, von dem einen das Holz, von dem andern das Eisen, von dem Kupfer, von dem Flachs, von dem Wachs. Überdies werden sie gar nicht erlauben,

(12) es anderswohin zu verfrachten, oder die unsere Widersacher sind, werden die Benützung des Seeweges verlieren. Und so habe ich, ohne einen Finger zu rühren, alles das vom Lande vermittels des Meeres, keine andere Stadt aber hat auch nur zweierlei davon; und es erzeugt auch keine zugleich Holz und Flachs, sonden wo Flachs sehr reichlich ist, da ist das Gebiet flach und holzarm; und ebensowenig stammt Kupfer und Eisen aus derselben Stadt, und auch die anderen Stoffe gehören nicht zu zweien oder dreien einer einzigen Stadt an, sondern der eine der, der andere der.

(13) Ferner ist überdies bei jedem Festland entweder ein Ufervorsprung oder eine vorgelagerte Insel oder irgendeine Landenge vorhanden; infolgedessen ist es den Herren des Meeres möglich, dort anzulegen und von da aus die Bewohner des Festlandes zu bedrängen.

(14) Eines Vorzugs aber ermangeln sie: wenn nämlich die Athener Inselbewohner und dazu Machthaber zur See wären, so stünde es bei ihnen, Schaden zu stiften, wenn sie nur wollten, aber nichts zu erleiden, solange wenigstens als sie die See beherrschten, noch ihr eigenes Land verheert zu sehen, noch zudem die Feinde in Empfang nehmen zu müssen; jetzt aber kommen die Feinde schon eher über die Bauern und die Reichen Athens, das Volk aber kann in dem sichern Bewußtsein, daß sie nichts von dem, was ihnen gehört, verbrennen oder verheeren werden, ganz unbesorgt leben und ohne Furcht, daß jene über sie kommen werden. Überdies wären sie, wenn sie eine Insel

(15) bewohnten, auch einer andern Furcht ledig, daß nämlich ihre Stadt jemals von einer Minderheit verraten würde und Stadttore geöffnet werden und Feinde einbrechen könnten (denn wie sollte, wenn sie eine Insel bewohnten, das geschehen?), und auch, daß ein Bestandteil der Bevölkerung sich gegen das Volk erhöbe, wenn sie eine Insel bewohnten; denn jetzt könnten sie, wenn sie sich erhöben, dabei ihre Hoffnung auf die Feinde setzen mit dem Hintergedanken, sie zu Lande an sich heranzuziehen; wenn sie aber eine Insel bewohnten, so wäre auch das für sie aus dem Bereich der Furcht gerückt. Nachdem sie

(16) also durch Schicksalsfügung von vorne herein nicht eine Insel besiedelt haben, tun sie jetzt folgendes: ihre Habe vertrauen sie den Inseln an voll Zuversicht auf ihre Herrschaft zur See; ihre attische Heimat aber geben sie unbekümmert der Verheerung preis in der Erkenntnis, daß sie, wenn sie sich ihrer erbarmen, anderer größerer Vorteile verlustig gehen werden.

(17) Ferner Bundesverträge und die damit verbundenen Eidschwüre unverbrüchlich zu halten, ist für oligarchische Gemeinwesen ein Naturgebot; und wenn sie die Vereinbarungen nicht einhalten, so wird entweder der, von dem du Unrecht erlitten hast,* dir genannt oder es haften alle die namentlich bekannten Persönlichkeiten * infolge der geringen Zahl derer, die es vereinbart haben. Was aber das Volk vereinbart hat, da steht es ihm frei, einem die Schuld zuzuschieben, dem Antragsteller und dem Versammlungsleiter, den übrigen aber, zu erklären, er sei nicht dabei gewesen und es sage ihm nicht zu, ausgenommen höchstens, sie hätten erfahren, es sei in einer Vollversammlung des Volkes vereinbart worden; und wenn es ihm nicht belieben sollte, daß dies Gültigkeit habe, so hat es tausend Vorwände bereit, nicht zu tun, was sie nicht wollen. Und überhaupt, wenn etwas Böses emporwächst aus dem, was das Volk beschlossen hat, so gibt das Volk dem die Schuld, daß wenige Leute ihm zuwidergehandelt und dadurch es zum Schlechten gewandt hätten; wenn aber etwas Vorteilhaftes, so schieben sie die Schuld daran sich selbst zu.

(18) Karikieren jedoch und schmähen lassen sie das Volk nicht, um nicht selbst Gegenstand der Schmähung zu sein; bei Privatleuten aber fordern sie es geradezu heraus, wenn es einer auf einen abgesehen bat, in dem sichern Bewußtsein, daß er Karikierte meistenteils gewiß nicht einer aus dem Volk ist oder gar aus der großen Masse, sondern entweder reich oder vornehm oder vermögend, und daß nur einige wenige aus der Zahl der Armen und der Volkspartei karikiert werden und auch diese nur wegen Wichtigtuerei und wegen der Sucht, etwas vor dem Volke vorauszuhaben, weshalb sie nicht einmal, wenn die Leute dieses Schlages karikiert werden, sich darüber ärgern.

(19) Ich für meinen Teil behaupte somit, daß das Volk in Athen dessen bewußt ist, welche von den Bürgern zu den Edlen gehören und welche zu den Gemeinen; und in diesem Bewußttin lieben sie ihre Anhänger und Förderer, wenn es auch gemeine Leute sind, die Edlen aber hassen sie eher; denn sie huldigen nicht der Ansicht, daß diesen die überlegene Gediegenheit zugefallen sei, nur um sich ihrem Vorteil zu widmen, sondern vielmehr zu ihrem Unheil; und im geraden Gegensatz zu dieser Anschauung sind einige, die in Wirklichkeit zum Volke stehen, ihrer Abkunft nach keine Volksleute.

(20) Volksherrschaft aber halte ich für meine Person dem eigentlichen Volk zugute; denn sich selbst wohlzutun ist jedem zugute zu halten; wer aber, ohne zum Volke zu gehören, es vorgezogen hat, in einem demokratischen Gemeinwesen zu wohnen, statt in einem oligarchischen, der hat es darauf abgesehen, im Trüben zu fischen, und hat erkannt, daß es eher in einem demokratischen Gemeinwesen angeht, ganz unentdeckt ein Schurke zu sein, eher als in einem oligartischen.

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(III, 1) Auch was die Staatsform der Athener anlangt, kann ich freilich ihre Art nicht billigen; aber nachdem sie nun einmal die demokratische Form beschlossen haben, scheinen sie mir zweckmäßig sich die Demokratie zu wahren mit dem Verfahren, wie ich soeben es darlegt habe. Ferner sehe ich einige auch darin die Athener tadeln, daß es bisweilen daselbst dem Rat und dem Volke nicht gelingt, einem, der ein volles Jahr versitzt Bescheid zu erteilen; und das kommt in Athen vor wegen nichts andern, als wegen der Menge der Geschäfte sind sie nicht imstande, alle mit einem Bescheid zu entlassen.

(2) Denn wie sollten es auch imstande sein, da sie erstens Feste zu feiern haben so viel, wie keine der Griechenstädte (während deren Dauer aber ist es minder tunlich, selbst von den Staatsangelegenheiten etwas zu erledigen), dann über Privatklagen und Staatsprozesse und Rechenschaftsberichte zu entscheiden so viel, wie nicht einmal alle Menschen zusammengemmen entscheiden, der Rat aber zu beraten viel über den Krieg, viel über Eingang von Geldern, viel über Gesetzgebung, viel über die jeweiligen Gemeindeangelegenheiten, viel auch mit den Bundesgenossen, und die Bundessteuer in Empfang zu nehmen und für Schiffswerften Sorge zu tragen und für Heiligtümer. Ist es da etwa verwunderlich, wenn sie, wo so viele Geschäfte drängen, nicht imstande sind, allen Leuten Bescheid zu erteilen?

(3) Es sagen aber einige: wenn einer mit Geld in der Hand sich an Rat oder Volk wendet, wird er seinen Bescheid erhalten. Ich aber kann diesen darin beistimmen, daß um klingenden Bescheid viel in Athen erledigt wird und noch mehr erledigt würde, wenn noch mehr Leute Geld geben wollten; das jedoch weiß ich sicher, daß the Staatsverwaltung nicht allen der Bittsteller Erledigung zu bringen ausreicht, auch nicht wenn ihnen einer noch soviel Gold und Silbergeld geben wollte.

(4) Es gilt aber auch in folgenden Fällen Rechtsfragen zu schlichten: wenn einer sein Schiff nicht instand setzt oder ein staatliches Grundstück verbaut; überdies Streitigkeiten betreffs Übernahme der Choregie zu schlichten für die Dionysien, Thargelien, Panathenaien, Promethien, Hephaistien Jahr aus Jahr ein; und von den Trierarchen, deren vierhundert jedes Jahr bestellt werden, auch von diesen all denen, die es wünschen, die Ubernahmsfrage zu schlichten Jahr aus Jahr ein; überdies an Beamten die Berechtigungsprüfung und die Schlichtung der Rechtsfragen und an Waisen die Berechtigungsprüfung vorzunehmen und Wächter Gefangener zu bestellen.

(5) Dieses also Jahr aus Jahr ein. Von Zeit zu Zeit aber zu richten gilt es wegen Mißleitung des Heeres und wenn irgendeine andere plötzliche Missetat vorfällt, sei es daß einige unerhörten Frevel, sei es daß sie Gottloses begehen. Gar vieles übergehe ich noch; das Wichtigste aber ist nun gesagt, ausgenommen die Bemessungen der Bundessteuer, was bekanntlich in der Regel alle vier Jahre erfolgt.

(6) Nun also weiter: muß man nicht denken, daß dies alles geschlichtet werden muß? Es soll einer nur sagen, was daselbst nicht geschlichtet werden müßte. Wenn es aber doch geboten ist zuzugestehen, daß man alles schlichten muß, so ist es auch notwendig, das ganze Jahr hindurch, wie sie ja nicht einmal jetzt, wo sie tatsächlich das ganze Jahr hindurch richten, dahin kommen, die Missetäter abzuschaffen, und zwar infolge der Menge der Menschen.

(7) Nun weiter: es wird aber einer ein wenden, daß wohl gerichtet worden müsse, aber von weniger Richtern. Mit Notwendigkeit werden dann, falls nicht am Ende gar nur wenige Gerichtshöfe eingesetzt werden sollten, nur wenige in jedem Gerichtshof sitzen, weshalb es leicht sein wird, sowohl sich einzurichten auf wenig Richter, als auch sie insgesamt zu bestechen, viel weniger leicht aber, gerecht zu richten.

(8) Überdies muß man bedenken, daß die Athener auch Feste begehen müssen, während deren Dauer es unmöglich ist, zu richten; und sie begehen doppelt so viel Feste als die andern, aber ich will sie nur gleichsetzen der Stadt, die die wenigsten begeht. Unter solchen Umständen also erkläre ich es für unmöglich, daß die Dinge in Athen anders stehen, als wie sie jetzt stehen, außer daß es möglich ist, kleinweise etwa das wegzunehmen, das hinzuzufügen; vieles aber umzugestalten ist nicht möglich, ohne von der Volksherrschaft damit etwas wegzunehmen.

(9) Freilich ist es möglich, zur Verbesserung der gesamten Staatsform vielerlei ausfindig zu machen; jedoch unter Erhaltung des Bestandes einer Volksherrschaft hinlänglich das ausfindig zu machen, wie sie die Staatsverwaltung besser gestalten würden, ist nicht leicht, außer wenn man, wie eben gesagt, kleinweise etwas hinzufügt oder wegnimmt.

(10) Es scheinen aber die Athener mir auch darin nicht richtig deraten zu sein, daß sie sich in den von Parteikämpfen heimgesuchten Staaten für die Minderwertigen entscheiden. Sie aber tun das mit Absicht; denn wenn sie sich für die Bessern entschieden, so würden sie damit sich eben nicht für die ihnen Gleichgesinnten entscheiden; denn in keinem Staate ist das bessere Element dem Volke wohlgesinnt, sondern das Lumpenpack ist in jedem Staate dem Volke wohlgesinnt; denn gleich und gleich gesellt sich gern; deshalb also entscheiden sich die Athener für die ihnen verwandten Elemente.

(11) So oft sie es aber unternommen haben, sich für die Bessern zu entscheiden, schlug es ihnen nicht zum Vorteil aus; sondern binnen kurzer Zeit geriet dasVolk in Abhängigkeit in Boiotien; ein andermal, als sie sich bei den Milesiern für die Bessern entschieden hatten, fielen sie binnen kurzer Zeit ab und heben das Volk nieder; ein andermal, als sie sich für die Lakedaimonier statt der Messenier entschieden hatten, unterwarfen die Lakedaimonier binnen kurzer Zeit die Messenier und standen mit den Athenern auf Kriegsfuß.

(12) Einwerfen aber könnte einer, daß halt in Athen niemand mit Unrecht entrechtet sei. Ich aber behaupte, daß es einige gibt, die mit Unrecht entrechtet sind, aber nur einige wenige sind es. Jedoch nicht wenig solcher bedarf es, die auf die Volksherrschaft in Athen losstürzen würden, da es ja doch überdies so steht, daß Leute, die mit Recht entrechtet sind, nichts im Schilde führen, sondern nur solche, die etwa mit Unrecht.

(13) Wie könnte also einer glauben, daß die große Menge in Athen mit Unrecht entrechtet sei, wo doch das Volk es ist, das die Ämter verwaltet und gerade aus unrechter Amtsführung, aus Unrechtreden und Unrechttun, aus derartigen Gründen in Athen Entrechtung hervorgeht. Wenn man das erwägt, darf man nicht mehr der Ansicht huldigen, daß irgendeine Gefahr von seiten der Rechtslosen in Athen drohe.